Wie ich mit dem Thema das erste mal in Berührung gekommen bin.
Ich muss Dir von einem Erlebnis erzählen, welches ich in meinem Säuglingsernährungskurs hatte. Also, ich war ganz entspannt in meinem Vortrag, die Mütter und Väter waren sehr locker. Eine richtige Wohlfühlrunde. Die Eltern dürfen immer ihre Babys mit in den Kurs bringen. Ein Baby gab ein paar Laute von sich, wie sie das halt so machen. Doch was dann kam, brachte mich zum Staunen. Die Mama packte einen kleinen Topf aus, macht das Baby unten rum frei und hielt es über das Töpfchen. Um ganz ehrlich zu sein, brachte es mich etwas aus meinem Konzept. Innerlich dachte ich mir nur: bitte piesel nur, bitte. In den Gesichtern der anderen Eltern sah ich, dass sie das gleiche dachten wie ich. Das war der Moment, wo ich das erste mal Windelfrei live erlebte. Da es für mich so ein prägender Moment war, wollte ich darüber mehr erfahren.
Ich machte mich auf die Suche nach einer Expertin.
Im Internet bin ich dann auf Tamara Beck von Nestwärme gestoßen. Sie ist Mutter von drei Kindern und beantwortet heute Fragen rund um das Thema Windelfrei.
Liebe Tamara stelle doch mal dein Unternehmen vor.
Ich habe Nestwärme vor Jahren gegründet, als ich mich zur Trageberaterin ausbilden ließ. Mit meiner Website möchte ich Interessierte zu allen Themen rund um eine bindungsorientierte Elternschaft informieren. Dazu gehört nicht nur das Tragen, sondern auch das Stillen, das Co-Sleeping bzw. Familienbett, ein babygeführter Beikoststart und die natürliche Säuglingspflege, sprich „windelfrei“. Auch diese Ausbildung habe ich vor einigen Jahren absolviert. Lokal biete ich neben Beratung auch regelmässig Treffen an, und ab und zu auch Workshops.
Was bedeutet eigentlich Windelfrei?
Windelfrei ist eigentlich ein irreführender Begriff. Zutreffender wäre der englische Begriff „elimination communication“, also Ausscheidungskommunikation. Denn genau darum geht es: das Baby macht deutlich, dass es sich entleeren möchte, und die Bezugsperson gibt ihm zu verstehen, dass es das jetzt tun kann und das Baby entleert sich. Konkret sieht das so aus: das Baby signalisiert, indem es z.B. mit den Beinchen strampelt oder quengelt, während man es auf dem Arm hält, dass es mal „muss“. Die Bezugsperson macht es unten frei und hält es dann über ein passendes Gefäß oder dasWaschbecken. Danach macht die Person einen Schlüssellaut, wie „schschsch“, und das Baby kann pieseln.
Es gibt so typische Modeerscheinungen, gehört da Windelfrei auch dazu?
Nicht annähernd. Die Windeln sind eigentlich die Modeerscheinung. Viele Völker kommen gänzlich ohne Windel aus. Wegwerfwindeln, wie wir sie heute nutzen, wurden erst in den 70er-Jahren erfunden. Abgehalten* wurden Babys auch in Europa im 19. Jahrhundert schon, also vermutlich schon immer.
Du bist ja auch zertifizierter Windelfrei-Coach. Wie bist du selber eigentlich auf das Thema gekommen?
Ich habe es bei anderen aufgeschnappt, mich eingelesen und fand das Ganze absolut logisch und spannend. Mir war klar, dass ich das auch ausprobieren wollte.
Mich würde interessieren ab welchem Alter man Windelfrei praktizieren kann.
Ab dem 1. Lebenstag. Je früher man startet, desto einfacher funktioniert es. Viele Eltern finden es besonders angenehm, wenn sie das klebrige Mekonium (Kindspech) nicht mühselig vom zarten Babypo waschen müssen. Idealerweise beginnt man vor dem 3. Lebensmonat, da das Baby bis dahin gelernt hat, dass niemand auf seine Signale eingeht und es in die Windeln machen muss. Es gibt aber auch Eltern und Völker, die später damit beginnen. Probieren geht über Studieren…
Muss ein Baby das lernen?
Gar nicht. So wie das Baby sich bemerkbar macht wenn es Hunger hat oder müde wird, zeigt es auch an, dass die Blase drückt oder der Darm voll ist. Wenn man von Anfang an darauf reagiert, kann man die Ausscheidungskommunikation ganz natürlich im Alltag integrieren. Babys wollen weder sich selber noch ihre Bezugsperson „beschmutzen“.
Doch wie bemerkt man, dass das Baby aufs Töpfchen muss?
Manche signalisieren dies sehr deutlich, andere weniger. In der Regel werden sie unruhig, wollen vom Arm runter oder wehren sich gegen das Getragen werden im Tuch, beginnen zu strampeln und quengeln oder werden im Gegenteil ruhig. Nicht nur beim Tragen, auch beim Stillen merkt man es sehr deutlich. Indem sie nämlich plötzlich mehrmals an- und abdocken und nicht mehr ruhig stillen. Da das Stillen auch die Darmtätigkeit in Gang bringt, „müssen“ viele Babys unmittelbar während oder nach den Stillmahlzeiten. Das merkt man schnell und kann dann ganz einfach mit einem Tuch oder Töpfchen unter dem Babypo stillen oder es dazwischen abhalten. Es gibt auch Eltern, die intuitiv spüren, dass ihr Baby „muss“, Eltern, die nur in Standardsituationen abhalten (nach dem Schlafen, Stillen etc.) und solche, die nach Timing gehen (20 Minuten sind um, das Baby muss vlt. wieder). Das große Geschäft merkt man den Babys aber meistens sehr gut an.
Gerade in der Nacht, stelle ich mir das schwierig vor. Wie bemerkt man es da?
Meist besser als am Tag. Wenn das Baby nachts erwacht, dann meistens weil es „muss“. Mit voller Blase schläft es sich nicht gut. Bei uns hat es mit dem Töpfchen am Bett prima funktioniert und wir sind nachts eine Weile sehr gut ohne Windeln ausgekommen. Schlaf geht aber vor. Viele Eltern ziehen dem Kind nachts deshalb eine Windel an.
Und wie macht man es, wenn man mit seinem Baby unterwegs ist?
Zugegebenermassen ist es im Winter eine Herausforderung. Manche Eltern berichten, dass es unterwegs besser klappt als Zuhause, weil sie aufmerksamer sind, das Kind getragen wird oder weil viele Babys nach der Autofahrt gleich müssen (und dann abgehalten werden). Andere benutzen für unterwegs einfach eine Windel. Das ist sehr individuell.
Wenn ich mich für Windelfrei entscheiden haben, was benutze ich anstatt den Windeln? Und was brauche ich noch?
Windeln 😉 Nein, natürlich nicht nur, aber viele benutzen tatsächlich Stoffwindeln, wenn auch nicht zwingend den ganzen Tag, sondern vielleicht nur unterwegs und/oder nachts. Andere benutzen Back-ups, eine Art Nässeschutz, der nach einem Malheur gewechselt wird und der zum Abhalten schnell geöffnet oder zur Seite geklappt ist. Diejenigen mit stark signalisierenden Babys nutzen vermutlich kleine Unterhosen. Stoffwindeln übrigens deshalb, weil die Babys so die Nässe eher spüren.
Was brauche ich noch?
Eigentlich nichts, aber natürlich sind wasserfeste Unterlagen, eine kleine Rührschüssel o.ä., sowie Windelfrei-Kleidung wie Split Pants und Back-ups nützlich.
Wie schaut es mit diesem Thema aus hygienischer Sicht aus?
Natürlich sehr gut. Gerade das große Geschäft hatte ich in den ersten Monaten so gut wie immer im Töpfchen und nicht an des Babys Po.
Welche Vor- und Nachteile hat es deiner Meinung nach?
Eigentlich nur Vorteile: eine noch intensivere Bindung zum Kind, kein wunder Po oder Hautprobleme, keine Windelberge, kein dicker Windelpo, keine „Windelunfälle“, ein zufriedeneres Baby, das weniger weint und weniger „Bauchweh“ hat, weil es seine Ausscheidungen nicht zurückhalten muss (gerade in den ersten 3 Monaten – Stichwort „Koliken“).
Welchen Buchtip hast du für Eltern, die sich mit dem Thema auseinander setzen wollen?
„Es geht auch ohne Windeln“ von Ingrid Bauer oder „Windelfrei? So geht’s“ von Lini Lindmayer
Wenn Eltern eine Beratung bei dir haben möchten, wie läuft diese ab?
Ganz individuell. Eltern, die z.B. noch in der Schwangerschaft zu mir kommen, erkläre ich das „Konzept“, zeige, was es an Ausstattung gibt und wo sie erhältlich ist. Sie können sich durch die Literatur blättern und Fragen stellen. Manchmal kommen auch Eltern, die gerade erst begonnen haben und noch ein paar Tipps wollen, Eltern, die mit einem älteren Kind noch starten möchten oder deren Kind gerade eine Windelfrei-„Pause“ einlegt, weil es mit wichtigen Entwicklungsschritten beschäftigt ist und nicht mehr signalisiert. Hier gibt es aber kein Patentrezept, denn, das wichtigste zum Schluss: Windelfrei sollte allen Beteiligten Freude bereiten, und völlig zwanglos und ohne Druck funktionieren. Fühlen sich die Eltern überfordert oder braucht das Kind gerade eine Pause, dann kommt eben eine Zeit lang wieder eine Windel an den Po. Neben persönlicher Beratung biete ich auch eine Beratung per E-Mail an – für alle, die etwas weiter weg wohnen.
Danke liebe Tamara, für deine Zeit. Ich finde es toll, dass du ein paar Fragen rund um das Thema beantwortet hast.
*Das Baby in einer bequemen Position ausscheiden lassen.
Nestwärme
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